BLITZ UND DONNER

Schwer wie Blei lastete die Hitze schon den ganzen Tag über dem Dorf. Gegen Abend haben sich dunkle Wolkenberge am Himmel aufgetürmt. Wie aus dem Nichts zerreisst ein Blitz die Dunkelheit und erleuchtet schaurig den Nachthimmel – einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzw… – und schon grollt ein Donner. Nicht einmal einen ganzen Kilometer ist das Ungeheuer entfernt.

 

Seit er sich erinnern kann, hat er diese Angewohnheit. Immer muss er wissen, wie nah das Unwetter ist. Wenn der Blitz einschlägt und das Haus in Brand setzt, was soll er da retten? Viel Zeit wird nicht bleiben, denn das Haus ist sehr alt und in der Scheune nebenan liegt noch immer eine Menge staubtrockenes Stroh – das brennt wie Zunder.

 

«So viele meiner Bücher wie möglich packe ich in ein Leintuch und schaff’ sie ausser Haus. Vielleicht noch ein paar Kleider, das Portemonnaie mit Ausweis und Kreditkarte, eventuell noch die Versicherungspolice, wenn die Zeit dafür noch ausreicht». Seit seiner frühen Kindheit stellt er jedes Mal die gleichen Überlegungen an. «Wenigstens hat es keine Tiere mehr, die gerettet werden müssen. Ausser vielleicht die Mäuse im Stroh. Aber die sind hoffentlich schnell genug, um selbst aus der Gefahrenzone zu fliehen».

 

Er weiss nicht, woher diese Gedanken kommen, es ist wie ein Zwang. Ist es, weil früher die Grossmutter jedes Mal alle aufgeweckt hat und sie sich anziehen mussten, um bereit zu sein? Oder weil der Vater bei jedem aufziehenden Gewitter sagte: «Macht sofort alle Fenster zu! Sonst werden die Blitze angezogen». Er weiss es beim besten Willen nicht.

 

Aber zum Glück zieht das Unwetter auch diesmal wieder rasch vorbei und so lauscht er andächtig, wie der starke Regen aufs Dach prasselt. Und ob sich nicht doch noch aus der Ferne eine weitere Gewitterzelle mit ihrem Donnergrollen ankündigt.     (12.7.16/Therese Bischofberger)